Ja, ich habe etwas zu verbergen

Einer der dümmsten Sätze, die immer wieder fallen, wenn es um die immer umfassendere Überwachung der Bürger durch Staaten und deren Geheimdienste geht, ist folgender: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Das ist, mit Verlaub, allergrößter Schwachsinn. Ich plane zwar derzeit keine Terroranschläge und habe auch in Zukunft nicht vor, das zu tun (auf diesem Weg schönen Gruß an alle Geheimdienste, bei denen der Computer beim Wort „Terror“ das Alarmglöckchen geläutet hat). Dennoch gibt es in meiner alltäglichen Kommunikation genügend Dinge, die niemand anderen etwas angehen – außer eben die Person, mit der ich kommuniziere. Das, liebe Geheimdienstler und wer hier noch so mitliest, nennt man Privatsphäre.

Die scheint es aber in Zeiten immer größerer Datenschnüffeleien nicht mehr zu geben. Im meinem Postfach habe ich sechs Mails gefunden, die das Wort „Bombe“ enthalten. 31 Mal kam das Wort Anschlag vor und immerhin 18 Mal das Wort Terror. 55 potenzielle Alarmsignale also für die Software, die wohl routinemäßig unser aller elektronische Kommunikation durchforstet. 55 Mal könnte also irgendwo ein Lämpchen angegangen sein, könnte eine Software oder ein Mensch entschieden haben, meine Kommunikation genauer unter die Lupe zu nehmen. 

Ist das paranoid? Mag sein. Ist es ausgeschlossen? Keineswegs, wie die Nachrichten der letzten Tage beweisen. Na gut, wenden nun wieder einige ein, man kann ja solche Trigger-Wörter vermeiden, wenn man Angst vor NSA und Co. hat, vor Prism, Tempora und wie die ganzen Programme heißen. Wie bitte? Wo kommen wir denn da hin, wenn ich mir bei jeder Mail überlegen muss, was ich noch schreiben darf, um nur ja keine Aufmerksamkeit zu erregen? Wenn ich aus Angst mein Kommunikationsverhalten anpasse, ist das das Ende der Freiheit, die die Geheimdienste doch angeblich gegen den Terrorismus beschützen wollen. Und genau das ist eben die Gefahr bei so einer Totalüberwachung: Das Leute aus Angst ihr Verhalten ändern.

Ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Wer auf Demonstrationen permanent gefilmt wird oder wessen Personalien dort ohne Grund aufgenommen werden, geht vielleicht irgendwann nicht mehr demonstrieren. Er verzichtet aus Angst vor den Konsequenzen auf ein Grundrecht. Das darf nicht sein, und deswgen hat das Bundesverfassungsgericht diese Praktiken vollkommen zurecht verboten. Und deswgen ist die anlasslose Dauerüberwachung auch das Allerletzte und ein Riesenskandal.

Und da sehe ich auch schon das nächste dämliche Argument um die Ecke lauern: Das bisschen Überwachung macht doch nichts, wenn wir dafür vor Terroranschlägen geschützt werden. Oder, wie es zuletzt der König der dümmlichen Argumente, Franz-Josef Wagner formuliert hat: „Ich bin lieber überwacht als tot.“ Was für ein Nonsens! Wer sagt denn, dass ich zwischen beidem wählen muss? Mein Risiko, durch einen Terroranschlag getötet zu werden ist statistisch kaum größer als das Risiko, von einem abstürzenden Flugzeug getroffen zu werden. Zigfach wahrscheinlicher ist es, von einem Auto überfahren oder durch einen Ärztefehler getötet zu werden. Sollen wir deswegen jetzt alle Autofahrer und Ärzte dauerüberwachen? Oder am besten gleich wegsperren, weil das nunmal der Preis der Sicherheit ist, dass die Freiheit einzelner Menschen eingeschränkt wird?

Ich höre schon förmlich die Gegenrede, wie sehr solche Vergleiche doch hinken und dass die Geheimdienste doch wesentlich gezielter vorgehen und es nur die erwischt, die wirklich Dreck am Stecken haben. Klar. Deswegen sitzen in Guantanamo nur wirklich überführte und verurteilte Terroristen und deswegen ist es in den vergangenen Jahren nie vorgekommen, dass Leute auf einmal aufgegriffen, verschleppt und besonderen Verhörmethoden zugeführt wurden, bloß weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren oder ihr Name blöderweise dem eines gesuchten Terroristen ähnlich war.

Natürlich habe ich keine Angst, auf einmal bei Nacht und Nebel verhaftet und verschleppt zu werden, aber ich will nur verdeutlichen, mit welch groben Rechen insbesondere die amerikanischen Geheimdienste arbeiten, wenn es darum geht, Leute festzusetzen, einzusperren und zu foltern. Und da glaubt wirklich noch jemand, sie würden beim bloßen Abhören von Menschen differenzierter vorgehen?

Und dass es der NSA nur um Terrorabwehr geht, glaubt doch hoffentlich niemand mehr, seit bekannt ist, dass auch die EU-Vertretungen in den USA gezielt verwanzt wurden.

Aber die dämlichen Argumente sind ja noch lange nicht aus: „Wer Facebook, Google und die ganzen anderen Datenkraken nutzt, braucht doch jetzt nicht jammern, dass auch andere seine Daten ausforschen.“ So in etwa sah ich es neulich im Fernsehen einen Journalisten der WELT sagen, gefolgt von dem eloquenten Nachsatz: „Come on, ich meine: Get real.“ Der hat den Blödsinn vermutlich sogar geglaubt, den er da verzapft hat. Nochmal langsam, für alle anderen: Weil ich mich freiwillig bei diversen sozialen Netzwerken oder anderen Plattformen anschließe, wo ich selbst entscheide, was ich dort preisgebe, soll ich damit einverstanden sein, wenn jemand anders einfach pauschal alles aufzeichnet, was ich im Netz treibe? Was für ein hirnverbrannter Mist. Nach der Logik dürfte man jeden, der ab und an zur Domina geht, auf offener Straße zusammenschlagen.

Ich möchte weiterhin selbst entscheiden dürfen, welche Daten von mir ich wo preisgebe. Und ich möchte, dass meine Bundesregierung sich dafür einsetzt, mir dieses vom Verfassungsgerecht garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu erhalten. Aber offensichtlich scheint beides zu viel verlangt.


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Kommentare

2 Antworten zu „Ja, ich habe etwas zu verbergen“

  1. […] Ja, ich habe etwas zu verbergen (Flüstertüte) – Einer der dümmsten Sätze, die immer wieder fallen, wenn es um die immer umfassendere Überwachung der Bürger durch Staaten und deren Geheimdienste geht, ist folgender: “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.” Das ist, mit Verlaub, allergrößter Schwachsinn. […]

  2. Avatar von Ulrike Weßling
    Ulrike Weßling

    Ja, deinem Artikel kann ich nur zustimmen. Mir ist manchmal unklar, dass es Menschen in unserem Staate geben soll, die dies anders sehen bzw. das Ausmaß nicht begreifen können. Der gläserne Mensch? Eine absolute Horrorvorstellung. Deshalb fühle ich auch Unbehagen mich bei Facebook oder anderen Netzwerken zu engagieren. Aber was ist mit der Glaubwürdigkeit unseres Staates? Was wissen wir nicht, weil es noch unter absoluter Geheimhaltung steht? Wer speichert auch hier in Deutschland schon längst alles, was ich in meinem Leben tue, was ich denke?
    1982 (verbotene Anti- AKW- Demonstration in Brokdorf) bin ich mit staatlicher Gewalt und den intrigenhaften Manipulationen sowohl der Politik als auch der Springerpresse konfrontiert worden und habe mit 26 den Glauben an die Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit verloren. Ja, du hast recht, mit welchem Recht passieren Datenspeicherungen solchen Ausmaßes, wer darf einfach so mich ausspionieren.
    Und warum verharmlosen Menschen diese Vernichtung von Freiheit?
    Darüber gilt es nachzudenken. Lieb Grüße Ulrike aus Köln (du weißt schon)

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