Dein Freund und Helfer

Officer Kamau grinst. „You know, in Kenia we have what we call jurisdiction“, erklärt er dem Mzungu, dem Weißen, der auf der anderen Seite seines Schreibtisches sitzt und den der Polizist nun  über unzählige Kladden, Mappen und Papiere hinweg über die Feinheiten des kenianischen Polizeisystems aufklärt. Wenn der Mzungu schon so deppert sei, sich im Stadtzentrum von Nairobi überfallen zu lassen, dann müsse er eben auch im Stadtzentrum zur Polizei.  Es sind nicht exakt die Worte, die Officer Kamau benutzt, doch sein Tonfall verrät, dass es so gemeint ist. Hier jedenfalls ist der Mzungu ganz falsch, hier im Polizeiposten von Runda, einem Vorort der kenianischen Hauptstadt Nairobi, in dem vor allem Europäer, Amerikaner und wohlhabende Kenianer wohnen.

An der Polizeiwache ist dieser Wohlstand spurlos vorbeigegangen. Sie liegt ein Stück abseits der Straße und wer sich auf dem Weg dorthin macht, sieht erst einmal nur Wäscheleinen, dann einen alten grünen Landrover mit offener Motorhaube, der offensichtlich nur noch als Ersatzteillager fungiert, und zuletzt ein kleines einstöckiges Gebäude, von dessen Wänden sich langsam die Farbe schält. Es riecht nach Rauch, irgend jemand bereitet hinter dem Haus auf offenem Feuer das Mittagessen zu.

Der Weg durch die Türöffnung – die Tür selbst ist nicht mehr vorhanden – führt in das Büro von Officer Kamau, in dem außer Schreibtisch und Bürostuhl noch ein verbeulter Metallschrank, an der gegenüberliegenden Wand eine Holzbank und an dieser Wand ein Portrait von Präsident Mwai Kibaki zu sehen sind. Und darunter  sitzt der Polizist nun und pocht auf seine jurisdiction.

Doch als der Mzungu erklärt, dass er ja gar keinen Führerschein mehr hat und – da das Ganze auf dem Weg zum Busbahnhof in der Innenstadt passiert ist – wenig Lust auf Busfahren verspürt, lässt sich Kamau erweichen. Der Mzungu soll seinen Polizeibericht bekommen – den, so hat es ein Anruf bei der deutschen Botschaft ergeben, braucht er, um seinen Führerschein und den ebenfalls entwendeten Personalausweis zu ersetzen.

„You come with me“, sagt der Polizist, verlässt sein Büro durch den türlosen Türrahmen, umrundet das Gebäude und betritt einen anderen Raum. Nackte Betonwände, nackter Betonboden, gleich neben der Tür eine Art Theke mit Funkgerät darauf, in einer Ecke hinter verblichenen Vorhängen ein Stahlrohrbett mit ordentlich durchgelegener Matratze, daneben ein Schreibtisch und der obligatorische verbeulte Metallschrank – dieser Raum ist nicht weniger einladend als Officer Kamaus Büro.

Der Polizist macht sich nun am Metallschrank zu schaffen, reißt eine Schublade nach der anderen auf und wühlt sich durch die darin enthaltenen Papierstapel „It has to be somewhere“, murmelt er immer wieder – bevor er sich ruckartig aufrichtet und im Brustton der Überzeugung verkündet: „It is not here!“ Und auf meinen fragenden Blick hin erklärt er, dass das benötigte Formular nicht mehr vorrätig sei. Das sei auch ganz leicht zu sehen, denn dieses Formular sei gelb und im ganzen Schrank sei kein einziges gelbes Blatt. „Come back tomorrow“, ordnet Kamau an.

Am nächsten Tag werde ich schon erwartet. Der Officer fragt routiniert ein paar Daten ab und schiebt mir dann das ausgefüllte Formular rüber. Es ist weiß. „Remember to tell people in Germany, how effective the Kenyan police is“, sagt mein Freund und Helfer zum Abschied. „Sure“, sage ich – und beschränke mich sicherheitshalber darauf, den ironischen Ton nur hinzuzudenken. Das mühsam errungene Formular will ich ja nicht direkt wieder in Gefahr bringen.

Ich konnte ja noch nicht wissen, dass es mir später in Deutschland rein gar nichts bringen würde.


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