Roman für Deutschland

Seit mehreren Wochen trage ich mich mit dem Gedanken, einen Text zu verfassen, weshalb Roman Neustädter in die Nationalmannschaft gehört. Heute ist mir Joachim Löw zuvorgekommen. Schade für mich, schön für Roman Neustädter. Weil aber immer noch viele mit einem gepflegten „Häh?“ auf diese Entscheidung reagieren, möchte ich trotzdem nochmal aufschreiben, warum ich – und inzwischen wohl auch der Bundestrainer – sehr viel von dem Mittelfeldspieler halte.

Für mich war Roman Neustädter die wichtigste Verpflichtung des Sommers, noch vor Ibrahim Afellay und weit vor Tranquillo Barnetta. Ich war schon ziemlich begeistert, als der Transfer im Januar bekannt wurde, wie dieser Kommentar vielleicht in Ansätzen beweist. Für viele andere war Neustädter aber ein klassischer Ersatzspieler, was damit zu tun hat, dass seine Spielweise meist unauffällig ist – aber im modernen Fußball kaum zu ersetzen.

Neustädter ist einer dieser Spieler, die dem Spiel die nötige Balance geben: Er sichert nach hinten ab, läuft Lücken zu, nimmt Druck von der Abwehr; aber er leitet auch das Offensivspiel ein und initiiert auch Angriffe nach vorne. Wie eminent wichtig er damit ist, kann man ja mal bei Lucien Favre nachfragen, der noch immer daran tüftelt, die verlorengegangene Balance seiner Mannschaft wieder herzustellen. Oder beim FC Bayern, der gerade 40 Millionen in die Hand genommen hat, um einen ähnlichen Spielertypen zu verpflichten.

Neustädter versteht das Spiel in beide Richtungen

Aber was genau bedeutet das eigentlich, dem Spiel Balance geben? Neustädter ist ein Spieler, der das Spiel in beide Richtungen versteht. Er läuft defensiv viele Lücken zu und vereitelt Torchancen dadurch oft, bevor sie überhaupt entstehen – und hält so auch den Offensivspielern den Rücken frei.

Gleichzeitig ist er im Aufbauspiel der erste Ballverteiler. Meist lässt er sich dafür weit nach hinten bis zwischen die beiden Innenverteidiger zurückfallen. Das ermöglicht es den eigenen Außenverteidigern, weit aufzurücken und das Spiel breit zu machen. Außerdem erschwert es das gegnerische Pressing, weil die Innenverteidiger eine zusätzliche Anspielstation haben und weil diese Anspielstation so ballsicher und passgenau ist und so eine Übersicht und Spielintelligenz hat, dass er meistens die richtige Lösung findet, um sich aus kniffligen Situationen zu befreien – Vergleiche mit Busquets vom FC Barcelona sind zumindest nicht vollkommen verwegen.

Ein Vergleich zwischen vergangener und dieser Saison zeigt, wie stark Schalke von einem solchen Spielertypen profitiert. Schon in der Vorsaison hatten die Königsblauen eine sehr starke Offensive, schafften es aber nicht immer, diese richtig in Szene zu setzen. Spielte der Gegner ein starkes Pressing, wie etwa der BVB oder Borussia Mönchengladbach, waren die Angreifer meist vom Nachschub abgeschnitten. Mit Neustädter dagegen werden die Bälle zuverlässig nach vorne geliefert. Meist sind es kurze Pässe, mit denen er das Spielgerät nach vorne befördert, aber er hat auch den 50-Meter-Diagonalpass im Programm, wie er im Derby gegen Dortmund zeigte.

Umdenken nach Schweden-Spiel?

Doch trotz all dieser Stärken: Bislang schien es nicht so, als sei Roman Neustädter ein akuter Kandidat für die Nationalmannschaft. Das Spiel gegen Schweden dürfte Joachim Löw aber zum Umdenken gebracht haben. Als die Nationalmannschaft gegen Schweden komplett auseinanderfiel, fehlte exakt so ein Spieler wie Neustädter. Mit Schweinsteiger und Kroos standen zwar auch technisch starke, ballsichere Spieler auf dem Platz, aber vor allem Kroos war in der Drangphase der Schweden viel zu offensiv ausgerichtet und einer der Hauptverantwortlichen dafür, dass die Abstände bei der deutschen Mannschaft viel zu groß wurden. Mit Neustädter hätte Löw einen Spieler zur Verfügung gehabt,der die Defensive stabilisiert und Lücken schließt, ohne an technischer Stärke und Ballsicherheit einzubüßen – wer weiß, wie das Spiel dann ausgegangen wäre.

Für Schalke jedenfalls ist Neustädter längst unverzichtbar – als einzigem Spieler hat Stevens ihm noch keine Minute Pause gegönnt.


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