Eigentlich war es ein ganz normales Interview: Luis Suarez, Nationalspieler Uruguays, blieb an einem orangefarbenen ZDF-Mikrofon stehen und es entwickelte sich ein Gespräch, wie es nach Fußballspielen meist vorkommt. Wie sich der Stürmer denn so fühle nach dem Sieg seines Teams gegen Italien, ob er glücklich sei etc. Ein Gespräch eben, das nach jedem Fußballspiel dutzendfach in den Stadionkatakomben geführt wird und dessen Erkenntniswert schon nach normalen Spielen gegen Null geht.
Dies aber war kein normales Spiel – und das Interview war der Tropfen, der für mich das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
Denn dieser Luis Suarez, der da am Mikro stand, hatte soeben nicht nur mit seiner Mannschaft Italien aus dem Wettbewerb gekegelt – er hatte auch seinen Gegenspieler Chiellini in die Schulter gebissen. An sich schon ein absurder Vorfall, beim Uruguayer kam er zudem nicht zum ersten, nicht zum zweiten, sondern schon zum dritten Mal vor – auch in der niederländischen Ehrendivisie und in der englischen Premier League durften Gegenspieler schon Bekanntschaft mit seinen Zähnen machen. Das ZDF fragte dazu: nichts. Warum auch, schließlich hatte doch Olli Welke schon zu dem Thema rumgeblödelt. Und Olli Kahn hatte ein paar gewohnt inhaltsleere Sätze über sein Lieblingsthema Druck beigesteuert.
Harmlose Plauderei zweier mittelalter Herren
Die Szene passt in das Bild, dass ARD und ZDF in Brasilien bislang abgeben: Journalistischen Anspruch, so scheint es, haben sie längst aufgegeben, ebenso wie jede Distanz zum Hauptberichterstattungsobjekt, der deutschen Nationalmannschaft. Die WM-Berichterstatter sind längst embedded journalists des DFB.
Zum Beispiel Gerd Delling, bei der ARD unter anderem zuständig für die Interviews mit dem Bundestrainer. Nach dem Spiel gegen Ghana also saß er Joachim Löw gegenüber und es entwickelte sich eine harmlose Plauderei zweier mittelalter Herren darüber, wie denn der Bundestrainer das Spiel so fand, ob er die erste oder zweite Halbzeit lieber gesehen hätte und ob er denn auch so begeistert von der Dynamik der Partie gewesen sei.
Kritische Fragen? Fehlanzeige
Zur Erinnerung: Deutschland hatte 2:2 gegen Ghana gespielt, was mit Sicherheit nicht das DFB-Wunschergebnis war. Aber kritische Nachfragen? Etwa zu den vielen gegnerischen Torchancen? Den eklatant großen Lücken im Mittelfeld? Der wilden Phase nach dem 1:0, als man auch drei oder vier Gegentore hätte fangen können? Dem Drei-gegen zwei-Konter der Ghanaer kurz vor Schluss nach deutschem Eckball? Den erneut schlimmen – und dieses Mal folgenschweren – Fehlern des Kapitäns Philipp Lahm? Den offensichtlichen körperlichen Problemen von Sami Khedira? Oder dem absoluten Unwillen von Mario Götze und Mesut Özil, in der Defensive mitzuarbeiten? Fehlanzeige.
Katrin Müller-Hohenstein, auf ZDF-Seite im DFB-Quartier postiert, verbringt ihre Gesprächstermine und Schalten ohnehin lieber damit, dass sie mit Lukas Podolski planscht oder über das morgendliche Joggen des Bundestrainers staunt, als dass sie sich auch nur bemüht, mal kritisch nachzuhaken oder auf anderem Wege neue Erkenntnisse zutage zu fördern. Mit Berichterstattern wie Hasan Salihamidzic und Giovane Elber (Qualifikation: Ex-Profi bzw. brasilianischer Ex-Profi) wird nochmal für alle deutlich betont, dass man sich liebend gerne Nähe zu seinen Gesprächspartnern erkauft und dafür journalistische Ansprüche bedenkenlos fahren lässt.
Flotter Spruch statt tiefgreifender Analyse
Oliver Kahn ist zwar aus Prinzip irgendwie kritisch, hat aber, seit er Experte fürs ZDF ist, noch nie etwas beigetragen, was meinen Horizont zum vorangegangenen Spiel oder Fußball allgemein in irgendeiner Form erweitert hätte.
Diesen Vorwurf kann man Mehmet Scholl nicht machen, aber auch er entscheidet sich im Zweifel lieber für den flotten Spruch als für die tiefschürfende Analyse. Dies scheint ohnehin die Vorgabe der Senderoberen zu sein, denn genau diesem Profil entsprechen die Präsentatoren Oliver Welke und Matthias Opdenhövel. Lutz Pfannenstiel und Fernanda Brandao sind eigentlich schon zu dankbare Ziele, um sich noch groß an ihnen abzuarbeiten.
Einfach nur Schland geil finden
Anders als Tom Bartels und Gerd Gottlob, zwei Kommentatoren, die ich eigentlich für ihre sachliche Art schätze. Aber entweder hat ihnen jemand etwas in den Tee getan, oder ihnen wurde mitgeteilte, dass Fußballkommentatoren immer mal wieder nur begrenzt am Spiel orientiert lautstark aufschreien und ansonsten einfach nur Schland geil finden sollten. Oder, wie es Thorsten Wieland in seinem guten Text zu Bartels‘ Kommentar im Spiel Deutschland gegen Ghana schreibt:
Tom Bartels brauchte eine geschlagenen halbe Stunde, bis er überhaupt darauf kam, dass Ghana eine konkurrenzfähige Mannschaft zu dieser WM geschickt haben könnte. Zuvor sprach er, als hätte der deutschen Mannschaft eine Gruppe Eingeborener gegenüber gestanden, erstmals überhaupt mit richtigen Fußballschuhen auf einem Rasen. Wie wild und zu klein der Torwart doch sei, wusste er zu berichten. Wie sehr in Ghanas Abwehr „die nackte Angst“ regieren würde, wenn „ein deutscher Spieler angestürmt“ käme.
Und Gottlob? Der war vom Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal zwischenzeitlich offenbar so empört, dass ihm entfuhr: „Solche Fehler dürfen uns einfach nicht passieren!“
Uns.
Er meinte die deutsche Nationalmannschaft. Und leider nicht ARD und ZDF.
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