Sorgen der Pegida-Demonstranten ernst nehmen? Warum?

Ich war wohl ein bisschen naiv. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass sich im Jahr 2014 wieder Zehntausende zu fremdenfeindlichen, rassistischen Märschen versammeln würden. Denn nichts Anderes sind die Demonstrationen von Pegida, Bogida oder wie sich die selbsternannten Retter des Abendlandes in der jeweiligen Stadt nennen mögen. In Dresden, in Bonn und anderswo ziehen diese Dumpfbacken durch die Straßen, krakeelen Parolen wie „Wir sind das Volk“ und meinen damit in Richtung aller, die anders sind: „Ihr nicht!“

Das ist beschämend. Noch beschämender aber ist der Umgang einiger durchaus nicht unwichtiger Politiker mit diesem rechten Rand unserer Gesellschaft. Justizminister Heiko Maas hat deutliche und richtige Worte gefunden: Pegida ist eine Schande für Deutschland. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat klar gemacht, dass bei aller Demonstrations- und Meinungsfreiheit in Deutschland kein Platz für Fremdenfeindlichkeit ist. Damit ist eigentlich alles gesagt.

Weltherrschaft der Toastbrote

Aber es gibt ja noch die CSU. Deren Generalsekretär Andreas Scheuer war sich nicht zu blöd, Maas‘ Äußerungenals „voll daneben“ und „ungeheure Verunglimpfung“ friedlich demonstrierender Menschen zu bezeichnen. Man distanziere sich zwar von den zwielichtigen Pegida-Organisatoren und den rechtsextremen Dumpfbacken, die dort auch mitliefen, aber die Partei nehme die „Sorgen der friedlich demonstrierenden Bürger aus der Mitte der Gesellschaft ernst“. Ähnliches sagte selbst Innenminister Thomas de Maizière: Man müsse die Sorgen der Teilnehmer ernst nehmen.

Und ich frage mich immer, wenn ich das höre: Warum denn bloß? Ich kann niemanden ernst nehmen, der gegen die Islamisierung des Abendlandes – das ist ja immerhin der Titel dieser Demonstrationen – auf die Straße geht. Schon gar nicht wenn dabei Plakate hochgehalten werden wie „Gegen die Zwangsislamisierung“. Genauso könnte man gegen die Weltherrschaft der Toastbrote oder die Schalker Meisterschaft im kommenden Jahr protestieren, beides ist ähnlich wahrscheinlich.

Ein Muslim bedroht 3,75 Demonstranten

Ein Blick auf die Fakten ist ja manchmal ganz hilfreich: In Deutschland leben insgesamt vier Millionen Muslime, also etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Bis 2030 werden es etwa sieben Prozent sein. Solche Werte beeindrucken allenfalls FDP-Anhänger, ein Überrennen aber sieht wahrlich anders aus. In Sachsen leben ganze 4000 Muslime – es fanden sich aber am Montag 15.000 Menschen, die in Dresden auf die Straße gingen. Jeder Muslim in Sachsen schafft es also im Schnitt, 3,75 Demonstranten das Gefühl zu vermitteln, bedroht zu werden.

Viele der aktuellen Flüchtlinge aus Syrien sind übrigens Christen, die selbst vor Islamisten geflohen sind. Die werden alles andere vorhaben als in Deutschland einen islamistischen Gottesstaat zu errichten und die Scharia einzuführen.

Von bösen und guten Kriminellen

Das Zuwanderer dem Sozialstaat auf der Tasche liegen, ist längst wiederlegt, und auch die Kriminalitätsstatistiken, die eine höhere Straffälligkeit bei Ausländern suggerieren, sind nicht viel wert. Denn sie erfassen auch Ausländer auf der Durchreise und Internetkriminalität, zudem haben Ausländer weniger Rechte (etwa im Aufenthaltsrecht) und ein höheres Risiko angezeigt zu werden. Denn nichts anderes erfassen diese Statistiken: die Zahl der Tatverdächtigen, nicht die der Verurteilten. Pointe am Rande: Der Pegida-Initiator Lutz Bachmann ist selbst vorbestraft.

Und deswegen kann ich die sogenannten Ängste der Pegida-Demonstranten nicht ernst nehmen. Es gibt einfach keine berechtigten Sorgen oder Gründe, mit Pegida auf die Straße zu gehen. Nur eben das Gefühl, dass man Ausländer nicht mag. Dieses Gefühl heißt Rassismus und das muss man bekämpfen, nicht ernst nehmen. Ansonsten suggeriert man doch bloß, dass dieses Gefühl irgendwie okay oder verständlich oder gar berechtigt wäre. Stattdessen muss man diese Demonstranten klar als das benennen, was sie sind: ausländerfeindlich. Und man muss ebenso klar sehen und sagen, dass nicht die Demonstranten Grund zur Sorge haben – sondern angesichts der Bilder marschierender Glatzen und Springerstiefel in Dresden die Ausländer und Flüchtlinge.

https://twitter.com/axelmeyer7/status/543806544983642112

Wer wie die CSU suggeriert, die Demonstranten seien größtenteils brave, rechtschaffene Menschen, die gar nicht genau wissen, was sie da tun, verharmlost das Problem geradezu fahrlässig: Wer bei Pegida mitmarschiert, macht sich mit den Ansichten und Zielen von Pegida gemein. Punkt. Aber offensichtlich will man die besorgten Bürger zur Rechten nicht zu sehr verprellen, weil man selbst in der trüben braunen Suppe ganz gerne nach Stimmen fischt.

Mit der Fackel durchs Pulverlager

Denn statt die berechtigten Sorgen der Migranten ernst zu nehmen, rennen Politiker etwa in den Reihen der CSU (von der AfD will ich gar nicht reden) noch mit der Fackel durchs Pulverlager, bereiten mit dem lächerlichen „Man spricht als Migrant zuhause gefälligst Deutsch“-Antrag den Boden für die braune Brut und signalisieren dann auch noch Unterstützung. Das ist verantwortungslose Zündelei. Die Werte des Abendlandes, so es sie denn gibt, können nicht Seite an Seite mit Pegida, sondern sie müssen gegen diese selbsternannten Retter des Abendlandes verteidigt werden.

https://twitter.com/robertrossmann/status/542602555919175680

Denn wenn man den Gedanken ernst nimmt, dass unsere Werte christlich geprägt sind, dann gehört unbedingt auch die Nächsten- und sogar die Feindesliebe hinzu – von einem gewissen Jesus Christus (übrigens auch Migrant und Flüchtling) zum wichtigsten christlichen Gebot erklärt. Pegida tritt die christlichen Werte mit Füßen. Nicht der Islam, sondern Pegida selbst ist die wahre Bedrohung für unsere weltoffene, tolerante Gesellschaft. Und das ist die Sorge, von der ich erwarte, dass die Politik sie ernst nimmt – und den Pegida-Demonstranten ein klares Nein entgegenstellt.

Nein, ihr seid nicht das Volk.

Nachtrag: Auch „Die Anstalt“ im ZDF hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Besonders der Schlusssatz von Claus von Wagner bringt es auf den Punkt: „Wenn man das Abendland nur verteidigen kann, indem man menschenverachtendes Gedankengut vor sich herträgt: Was gibt es dann eigentlich noch zu verteidigen?“


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Eine Antwort zu „Sorgen der Pegida-Demonstranten ernst nehmen? Warum?“

  1. Avatar von Erik
    Erik

    Woher kommt eigentlich diese unrealistische 4000-Muslime-in-Sachsen-Zahl? (Und warum übernehmen die alle ungeprüft?) Allein in Leipzig gibt es über 9000 Muslime:
    http://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/auslaender-und-migranten/migration-und-integration/eID=dam_frontend_push&docID=30426

    Und nur im Jahr 2013 kamen mindestens 12.000 Flüchtlinge aus muslimischen Staaten (die natürlich nicht alle Muslime sein müssen, aber die Wahrscheinlichkeit dürfte recht hoch sein): http://www.landtag.sachsen.de/dokumente/sab/Herkunftslaender-2013.pdf

    Man spielt den Pegida-Typen nur in die Bälle zu, wenn man ungeprüft offenkundig falsche Zahlen verwendet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert