Recherchieren? Wozu?

Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle ziemlich über das ZDF Sportstudio im Besonderen und die deutsche Sportberichterstattung im Allgemeinen aufgeregt. Auch das gegenseitige Abschreiben von Fehlinformationen und der daraus resultierende Herdentrieb war schon Thema. Vermutlich könnte man damit jeden Tag einen Blogbeitrag füllen, aber heute war es mal wieder besonders nett.

Kurz nach zehn kam die Meldung: Shinji Kagawa wechselt von Borussia Dortmund zu Manchester United. Und darin stand irgendwo der harmlose Satz, der Transfer erfolge vorbehaltlich der sportmedizinischen Untersuchung und der Arbeitserlaubnis. Und ich erinnerte mich dunkel, da in letzter Zeit etwas darüber gelesen zu haben und fand den Text nach zweiminütiger Powerrecherche bei den Kollegen von Reviersport. Unter der alarmistischen Überschrift „Kagawa-Wechsel droht zu platzen“ steht dort neben einigem anderen folgendes:

Der Transfer des Dortmunder Mittelfeldspielers zum Premier League-Klub droht an den kuriosen Statuten des englischen Fußballverbands (FA) zu scheitern. Demnach dürfen nicht EU-Ausländer ausschließlich dann ins englische Oberhaus wechseln, wenn sie in den zurückliegenden zwei Jahren mindestens 75 Prozent der Länderspiele für ihr Heimatland absolviert haben. Das trifft auf den Japaner allerdings nicht zu, denn der konnte wegen Verletzungen nur 18 der letzten 39 Länderspiele für die „Samurai Blue“ absolvieren, also etwas mehr als 50 Prozent.

Über die Schwächen beim Kopfrechnen sah ich gnädig hinweg, allerdings erzählte mir ein Kollege, er habe ähnliches auf Springers Witzportal Gerüchteküche Fußball-Portal transfermarkt.de. Allerdings sei dort von drei Jahren die Rede gewesen.

Also musste ich doch etwas tiefer in die Recherche einsteigen. Eine erste Google-Suche ergab, dass inzwischen viele deutsche Portale vom drohenden Transferplatzer schrieben. Allerdings, und das machte schonmal misstrauisch, nur wenige, bei denen man sich auf die Fakten mehr oder weniger blind verlassen könnte. Und, was das Misstrauen noch deutlich steigerte, kein seriöses englisches Angebot erwähnte irgendwelche Probleme rund um eine Arbeitserlaubnis für Kagawa.

Also musste der Originaltext her, der sich nach kurzer Suche auf den Seiten der Premier League und des Verbands finden ließ. Da steht diese Regel tatsächlich drin: Ein Nicht-EU-Ausländer, der in die Premier League wechseln will, muss, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, mindestens an 75 Prozent aller PFLICHTspiele (auf dieses Detail hatten alle Berichterstatter bis dato verzichtet) seines Landes in den vergangenen zwei Jahren partizipiert haben. Die Frage nach zwei oder drei Jahren war also gelöst. Allerdings war der Text noch nicht zu Ende:

If a player was not available for selection for a match or series of matches due to injury or suspension and provided that written evidence is submitted to this effect, those games will be excluded from the total when calculating the player’s appearance percentage.

Im Klartext: Ist ein Spieler verletzt, werden die Spiele während seiner Verletzung nicht mitgezählt. Das große Problem war also gar keines und die Arbeitserlaubnis wohl doch eine Formalie. Nur hatte keiner der Kollegen, die darüber schrieben, so weit gelesen – und ich würde viel Geld darauf wetten, dass die wenigsten überhaupt einen Blick in die tatsächlichen Regularien geworfen hatten.

Nun hatte ich noch Zeit, diese Erklärung in unseren Text über Kagawa einzufügen und die Kollegen vom Online-Desk vorzuwarnen, dass es sein könnte, dass die Agenturen gleich aufgeregte Stücke über den brutalstgefährdeten Kagawa-Transfer bringen könnten, dass da aber wenig dran sei.

Und um 12.04 Uhr kam dann dapd, die die zwei Stunden seit Verkündung des Transfers offensichtlich nicht zur Recherche genutzt hatten und stattdessen vielleicht an den Formulierungen gefeilt: Manchester müsse noch um sein neues Juwel und Dortmund um seine Millionen zittern, hieß es da, weil da doch diese Statuten existierten, die Kagawa nicht erfülle. Im Wesentlichen waren es die Informationen, die auch schon im Reviersport gestanden hatten. In den Regeln hatte wieder niemand selbst nachgeguckt – und die Abschreibespirale konnte von vorne beginnen.


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