Man muss sich momentan schon anstrengen, um die FDP überhaupt wahrzunehmen. Jene stolze Partei, die seit 1949 ununterbrochen im Bundestag vertreten war; die lange Jahre das Zünglein an der Waage war, wenn es um die Frage ging, ob nun CDU/CSU oder SPD den Kanzler stellen sollte. Die Grünen stellen sich gerade mit viel Getöse neu auf: Am Mittwoch hat sie eine neue Fraktionsführung gewählt und weil es für einen der beiden Posten zwei Kandidatinnen gab, kamen manche Medien aus dem Hyperventilieren gar nicht mehr heraus – weil es eben in den eigentlich demokratisch verfassten Parteien eben doch Ausnahme statt Regel ist, dass bei Postenvergaben eine echte Wahl stattfindet.
Auch die Linke macht mit Knatsch um die Fraktionsführung von sich reden, Union und SPD bestimmen mit ihren Sondierungen und den Diskussionen um Ministerposten und Inhalte – zumindest einige Sozialdemokraten sehen das offenbar als sinnvolle Reihenfolge an – ohnehin die politische Agenda.
Für eine Partei, die nicht mehr im Parlament vertreten ist, bleibt da nicht viel Aufmerksamkeit übrig.
Man hat ja noch nicht mal Posten zu vergeben – sieht man mal von den Liquidatoren ab, deren Job es ist, die FDP-Präsenz im Bundestag ordentlich abzuwickeln. Allerdings ist die FDP auch selbst schuld, dass sie derzeit niemand wahrnimmt: Sie verweigert nämlich schlicht die Aufarbeitung ihres desaströsen Wahlergebnisses. Klar, das Spitzenpersonal wird ausgetauscht, Christian Lindner soll den Vorsitz übernehmen. Aber inhaltlich ist wenig zu hören.
Dabei ist vor allem hier der Niedergang der FDP festzumachen. Rösler, Westerwelle und Brüderle hatten zwar auch nicht gerade berauschende Beliebtheitswerte, sie haben die FDP aber vor allem mit etwas anderem in den Untergang geführt: mit der absoluten Verengung auf einen knallharten Wirtschaftsliberalismus – um nicht zu sagen hemmungsloses Manchestertum. Auf anderen Feldern hat sie kein liberales Profil gezeigt – sie hat es aber auch gar nicht erst versucht. Sie hat zwar „Freiheit“ gerufen, aber doch immer nur die Freiheit der Unternehmen gemeint, selten die Freiheit der Bürger und nie die Freiheit der Arbeitnehmer. Wo etwa war der Ruf nach Freiheit, als die NSA-Affäre ans Licht kam? Wenn nach vier Jahren als Regierungspartei nur die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers als FDP-Projekt in Erinnerung bleibt, ist etwas fundamental falschgelaufen.
Wie man Freiheit ganz anders buchstabieren kann als die FDP es in den vergangenen Jahren getan hat, zeigt heute in der Süddeutschen Zeitung Burkhard Hirsch, einer der ganz großen Liberalen der nicht mehr ganz so jungen Vergangenheit. „Freiheit als Programm“ hat er seinen Text überschrieben und bis auf den Titel hat dieser wenig mit dem aktuellen FDP-Programm zu tun. Die Liberalen müssten heute ihre Ziele vom Menschen unseres Jahrhunderts her denken, eine liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung sei mörderisch. Und: „Man kann sich nicht als ‚Wirtschaftspartei‘ gerieren, ohne auf diesem Gebiet sachliche oder wenigstens personelle Kompetenz zu haben.“
Und dann zählt Hirsch auf, was er unter einem liberalen Programm versteht:
- EIn System, das nicht in jedem Bürger einen noch nicht überführten Straftäter sieht und diesen vor der Schnüffelei fremder Geheimdienste und datengieriger Unternehmen schützt
- Bildung, die unabhängig vom Status der Eltern ist
- Soziale Verantwortung der Unternehmen, die nicht nur Arbeitsplätze exportieren, sondern sich auch um die Qualifikation der zurückbleibenden Abeiter kümmern sollen – und um die Menschen, die im Ausland auf diesen Arbeitsplätzen ausgebeutet werden
- Einen Mindestlohn, wo die Tarifparteien selbst keine menschenwürdigen Lösungen hinbekommen – damit nicht der Staat durch Aufstockung die Ausbeutung von Menschen mitfinanziert
- Eine Absage an überdimensionierte Einkommen. Diese sollten „als das behandelt werden, was sie in Wirklichkeit sind: Gewinnentnahmen, die man als steuermindernd vom Steuerzahler mit bezahlen lässt. Es ist liberal, wenn ein Unternehmen seinem führenden Personal zahlt, was es für richtig hält. Es ist illiberal, dafür auch den Steuerzahler in Anspruch nehmen zu wollen.“
Jeder Satz ist eine schallende Ohrfeige für die bisherige FDP-Führung – und auch für die künftige. Denn Christian Lindner hat die inhaltliche Verengung der Partei komplett mitgetragen. Nur wenn es ihm gelingt, glaubwürdig einen radikal neuen Kurs einzuschlagen, wird die FDP wieder für Menschen wählbar, die keine Hoteliers oder Apotheker sind.
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