Wer am vergangenen Samstag das Sportstudio im ZDF gesehen hat, hat viel gelernt: Dieter Hecking war mal Polizist. Dieter Hecking hat ein paar Talente entdeckt, die jetzt fast alle woanders spielen. Und Dieter Hecking kann diese Talente auf Fotos erkennen. Sonst gab es nichts Berichtenswertes. Keine deutschen Top-Schiedsrichter, beispielsweise, die der Steuerhinterziehung im großen Stil verdächtigt werden. Das ZDF schaffte es tatsächlich, diese Affäre, die die ganze Woche geschwelt hatte, mit keinem Wort zu erwähnen. Vielleicht bin ich ein romantischer Idealist, aber von einer Sportsendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erwarte ich, dass sie so ein Thema aufgreift und vertieft, gerne mit ein wenig eigener Recherche. Um so eine Erwartung noch zu haben, dass merke ich mehr und mehr, muss man aber tapfer all die kleinen und großen Grausamkeiten ignorieren, die der ZDF-Sportredaktion immer wieder einfallen.
Beispiel gefällig? Wie wäre es mit dem Pokalspiel BVB – Dynamo Dresden, als irgendein ZDF-Redakteur anscheinend den Einfall hatte, dass es da ja noch Wolf-Dieter Poschmann gibt; einen Mann, der ungebremst von jeglicher Sachkenntnis herrlich sinnlos-dadaistische Satzgirlanden bastelt. Oder, wie es Peter Körte hier schon sehr schön aufgeschrieben hat:
Er ist ja einer, der immer nur sagt, was auch jeder sieht, der nichts vom Spiel versteht; und wenn er etwas sagt, was auf so etwas wie einer Analyse, einer Reflexion beruht, dann ist es garantiert falsch, was jeder sieht, der auch nur ein bisschen von Fußball versteht. Aber lassen wir die Phrasen beiseite, so wie er „das Bällchen laufen lassen“ will; dem Mann ist es nun mal nicht möglich, einen floskelfreien Satz zu formulieren.
Als die Dresdner Fans anfingen, sich daneben zu benehmen, begann Poschmann das freie Assoziieren und landete irgendwann beim Höhepunkt seiner geistigen Ergüsse: „Wer mal mit ihnen diskutiert hat, weiß, dass es da keine gemeinsame Argumentationsebene gibt.“ Ich hätte es nicht schöner sagen können; auch wenn ich davon ausgehe, dass Poschmann das Gefälle anders einschätzt als ich.
Damit könnte es gut sein, wenn das der einzige Eintrag im Sündenregister des ZDF wäre. Leider musste man während des Pokalspiels aber gar nicht lange nach dem nächsten suchen: Katrin „Was mache ich hier eigentlich“ Müller-Hohenstein. Sie ist der personifizierte Fan, der es über die Absperrung geschafft hat. Jetzt steht sie mit großen Augen auf der anderen Seite und weiß nicht, wohin mit sich. Unter einem Gespräch versteht KMH das bedingungslose Anwanzen an ihr Gegenüber. In ihrer naiv-freundlichen Harmlosigkeit ist sie die perfekte weibliche Antwort des ZDF auf die ARD-Duz-Maschine Waldemar Hartmann (warum der immer noch eine eigene Sendung hat, wäre noch so ein Thema). Und bei der Gelegenheit hätte ich gerne noch gewusst, welche Drogen der Mensch genommen hat, der sich das hier ausgedacht hat.
Besonders angehimmelt wird immer Oliver Kahn. Und überhaupt: Oliver Kahn? Als Experte? Hallo? Der Mann, der nichts anderes im Programm hat als die uralte Nicht-Weisheit „Die Spieler müssen Gras fressen“, nur dass er sie in etwas längere Sätze packt und dann mühsam zwischen den Kiefern hervorpresst. Taktische Erkenntnisse kann man von ihm nicht erwarten.
Nur leider auch von niemand anderem. Oder kann mir irgendjemand ein relevantes deutsches Medium nennen, in dem ernsthaft über Fußballtaktik reflektiert wird? In dem wirklich erklärt wird, warum eine Mannschaft ein Spiel verloren und die andere gewonnen hat? Und ich meine wirkliche Erklärungen, nicht irgendwas in Richtung „Podolski war schlecht drauf“ oder „Kaiserslautern zeigte zu wenig Einsatz und enttäuschte auch spielerisch“. Woanders, beispielsweise in England, bekommt man deutlich mehr geboten, siehe beispielsweise die Website des Guardian, wo auch Jonathan Wilson auf brillante Art und Weise die Feinheiten des Fußballs erklärt. In Deutschland gab es bei Spiegel Online mal eine Weile die Kolumne Fast alles über Fußball, die zumindest in die Richtung ging und im Fernsehen Jürgen Klopp, viel mehr war und ist da nicht. Selbst der Sportteil der von mir hochgeschätzten Süddeutschen Zeitung schreibt zwar immer sehr unterhaltsam und durchaus erhellend über Sportereignisse, aber in die Tiefen der Taktik steigt man auch dort nicht ein. Wer das will, muss auf private Angebote ausweichen: zonalmarking.net ist wohl die absolute Referenz, für den deutschen Leser gibt es spielverlagerung.net (die es in abgespeckter Version immerhin auch hin und wieder auf 11freunde.de schaffen).
Gut, man kann argumentieren, dass das etwas für Freaks ist, aber im deutschen Sportjournalismus fehlt es oft noch an etwas viel Grundlegenderem: dem Journalismus nämlich. Gemeint ist die kritische Auseinandersetzung mit dem Objekt der Berichterstattung. Die meisten Sportjournalisten machen reine Ergebnisberichterstattung und betrachten Sport bloß als Unterhaltung; vor Großereignissen drehen sowieso alle regelmäßig durch. Ganz wenige nur beschäftigen sich dagegen mit kritischen Themen, mit Korruption in der Fifa beispielsweise, der bereits genannten Affäre rund um die deutschen Schiedsrichter, Doping im Fußball oder anderswo – und das ist erst der Anfang einer langen Liste. Hier muss man vor allem die Süddeutsche Zeitung und dort besonders Thomas Kistner (von dem ich den Satz von den Fans, die es über die Absperrung geschafft haben, geborgt habe) lobend erwähnen, außerdem Jens Weinreich und sein fabelhaftes Blog, Herbert Fischer-Solms und Grit Hartmann vom Deutschlandfunk und noch einige andere mehr, die ich hier nicht alle nennen kann und will – es bleibt aber eine verschwindend kleine Minderheit. Ansonsten ist der Sportjournalismus auf fast allen Ebenen geprägt von Recherchefaulheit und Kumpanei zwischen Berichterstattern und denen, über die sie berichten sollen. Und immer ganz vorne dabei und bestens vernetzt: die Kollegen von der Bild-Zeitung, denen der Großteil der Meute wild hinterherläuft. Und das, liebe Kinder, ist das Elend des deutschen Sportjournalismus.
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