Man muss aufpassen, wenn Josef Ackermann redet. Viele seiner Argumente hat man schon oft genug gehört und außerdem wirkt der Chef der Deutschen Bank mit seinem Blendamed-Lächeln und seinem Schweizer Akzent immer wie ein harmloser kleine Bube; sodass man stets Gefahr läuft, sich einlullen zu lassen und es zu verpassen, wenn er etwas Bemerkenswertes raushaut. Zum Beispiel über Zusammenarbeit von Regierung und Banken in der Finanzkrise:
Da war eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft, wie ich mir das übrigens immer wünschen würde, denn unsere Konkurrenten sind eigentlich nicht Länder, wo das anders ist, sondern immer mehr Länder, bei denen Politik und Wirtschaft eng zusammenarbeiten. Das gilt für Frankreich, das gilt für England, das gilt aber vielmehr noch natürlich für China, wo wir ja geradezu im Wettbewerb stehen mit einem Staat und nicht mit einzelnen Unternehmen eines Landes. Das heißt, wir müssen überlegen, wie wir auch künftig Politik und Wirtschaft gemeinsam gestalten.
Hat der Chef der Deutschen Bank, qua Amt sozusagen oberster Kapitalist des Landes, gerade wirklich eine stärkere Industriepolitik und Einmischung des Staates in die Wirtschaft gefordert? Ich habe extra mein Diktiergerät noch einmal abgehört, er hat es gesagt. Die Medien, die heute berichten, halten das aber entweder nicht für bemerkenswert oder haben es schlicht verpennt nicht in seiner ganzen Tragweite wahrgenommen – was aber daran liegen mag, dass meisten der anwesenden Journalisten bei der SPD-Veranstaltung „Fraktion kontrovers“ mit Ackermann, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier wohl eher wegen des Büffets als aus Interesse an der Debatte anwesend waren.
Solche kollektiven Blackouts kommen vor. Am Freitag, 15. Oktober beispielsweise spricht Horst Seehofer, seines Zeichens bayerischer Ministerpräsident, auf dem Deutschland-Tag der Jungen Union in Potsdam. Am nächsten Tag berichten die meisten Medien von Seehofers Satz: „Multi-Kulti ist tot!“ Klar, dass Thema ist eben virulent, nachdem er sich schon acht Tage vorher in einem Focus-Interview gegen Zuwanderung gewütet hat. Völlig überhört werden die folgenden Sätze:
Wir werden dafür sorgen müssen, dass in Deutschland endlich der Arbeitnehmer, der älter ist als 50, nicht als Belastung der Wirtschaft, sondern als Schatz der Wirtschaft begriffen wird. Das heißt aber, wir müssen mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für die über Fünfzigjährigen besorgen. Weil sonst die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für die älteren Menschen in Wahrheit eine Rentenkürzung ist.
Seehofer düpiert also mal eben die Kanzlerin und stellt sich auf die Seite von Sigmar Gabriel – und keiner der zahlreich anwesenden Journalisten merkt es (und für jenes Nachrichtenmagazin, wo ich arbeite, war es schlicht schon zu spät, er hätte es halt nicht am späten Freitagabend sagen sollen). Erst als Seehofer das Thema am Montag drauf einigen Journalisten praktisch vor die Füße wirft, wird berichtet. Vielleicht sollte man mal wieder eine Untersuchung zur Nachrichtenwerttheorie machen, ob nicht die Vielzahl an Informationen und Wortmeldungen gerade im Politikjournalismus dazu führen, dass der Nachrichtenfaktor „Kontinuität“ inzwischen deutlich höher anzusiedeln ist als „Überraschung“.
Aber dieser ganze Exkurs zur Aufmerksamkeitsschwelle von Journalisten hat mich ganz von meinem ursprünglichen Thema abgebracht: Einer der ersten öffentlichen Auftritte des SPD-Fraktionsvorsitzenden und Ex-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier nach seiner Nierenspende an seine Frau. Er sieht gesund und gut erholt aus, aber das kann nicht über seine zentrale Schwäche hinwegtäuschen: Steinmeier ist, das versichern mir Journalisten, die lange mit ihm zusammenarbeiten, hochkompetent und hochseriös, ein absolut fähiger Politiker. Als er aber damals bei der Vergabe von Politiker-Talenten in der Schlange für diese Fähigkeiten anstand, brauchte er so lange, dass danach rhetorisches Geschick und Charisma ausverkauft waren. Der Mann mag kluge Gedanken haben, aber er bringt sie mit einer Dynamik an den Mann, dass Rüdiger Hoffmann dagegen wie ein zappeliges Energiebündel wirkt. Steinmeier redet selten frei, er liest ab und das auch noch besonders langsam.
Peer Steinbrück hat das vermutlich anders gemacht damals: Er hat sich erst eine dreifache Portion Ego abgeholt und sich dann in den Schlangen für Sachverstand und rhetorisches Geschick vermutlich rüde vorgedrängelt, einen seiner gefürchteten schnoddrigen Sprüche rausgehauen und ist dann hochzufrieden abgedampft. Im Vergleich mit Steinmeier wirkt der Ex-Finanzminister dank seines Talents zur freien Rede deutlich authentischer; klar, einfach und direkt reden konnte er ja schon immer. Das scheint bei vielen Leuten anzukommen, Steinbrück wird längst als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt: „Ich wünsche mir sehr, dass sie wieder eine wichtige Rolle in der Politik einnehmen“, sagt eine Zuschauerin. „Sie wollen mich doch wohl nicht umbringen“, antwortet Steinbrück.
Da mag einiges an Koketterie dahinter stecken, aber wohl nicht nur. Steinbrücks direkte Art ist nämlich auch eine seiner größten Schwächen: Er schafft es nur selten, sich mal auf die Lippe zu beißen und die Zunge zu zügeln, seine Ungeduld ist legendär. Wollte er wieder vorne in der SPD mitmischen, müsste er sich hier und da gewaltig zurücknehmen. Auch bei den Genossen ist nicht vergessen, dass sie es nicht immer leicht mit ihrem Finanzminister hatten, der die Basis lieber überfuhr als überzeugte. Das spräche gegen eine Kanzlerkandidatur Steinbrücks.
Allerdings ist schwer vorstellbar, dass ein Mann mit seiner Energie und seinem Ego auf Dauer damit zufrieden ist, durch Diskussionsveranstaltungen zu tingeln. Zumal die möglichen SPD-Alternativen im Vergleich arg fad (Steinmeier) oder hallodrimäßig (Gabriel) daherkommen.
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